Städte für Menschen

Das Buch "Städte für Menschen" von dem dänischen Stadtplaner Jan Gehl beschreibt wie man Städte im menschlichen Maßstab bauen kann. Da ich mir wünsche, dass auf den Konversionsflächen lebenswerte, urbane (nicht sub-urbane), öffentliche Straßen- und Platzräume entstehen, möchte ich hier ein wenig aus seinem Buch zitieren. Jedem sei die ganze Lektüre des Buches ans Herz gelegt.

"Das kleinteilige Maß einer menschlichen Stadtlandschaft wird hier soausführlich erläutert,weil es von Stadtplanern im Allgemeinen vernachlässigt wird. Dazu kommt die Erfahrung, dass kleinteilige Größenverhältnisse bessere Rahmenbedingungen für das menschliche Leben in menschlichen Dimensionen abgeben. Dies sind überzeugende Argumente für eine fundiert durchdachte Berücksichtigung der Kleinteiligkeit bei städtebaulichen und verkehrsplanerischen Projekten, was allerdings radikal andere Denk- und Arbeitsweisen erfordert.
Städtebauliche Pläne und Stadtentwicklungsprojekte lassen sich, vereinfacht gesagt, als Arbeit mit verschiedenen Maßstabsebenen bezeichnen.
Der große Maßstab betrifft die ganzheitliche Generalplanung einer Stadt mit verschiedenen Stadtteilen, Flächennutzungen und Verkehrswegen. In diesem Maßstab wird die Stadt aus einer gewissen Distanz oder aus der Luftperspektive betrachtet.
Der mittlere Maßstab der Stadtentwicklung betrifft die Gestaltung der einzelnen Elemente und Quartiere einer Stadt und die Gliederung der Gebäude sowie öffentlichen Räume. Dabei wird die Stadt wie aus der Perspektive eines tief fliegenden Hubschraubers geplant.
Der kleine Maßstab- zwar letztgenannt, aber sicher am wichtigsten- bezeichnet die menschliche Stadtlandschaft, das heißt die Stadt wie sie von Einwohnern und Nutzern auf Augenhöhe erlebt wird. Nicht die Umrisse und großen Linien einer Stadt oder die eindrucksvoll platzierten Bauten sind hier von Interesse, sondern die Qualitäten der öffentlichen Räume, die die Menschen wahrnehmen, wenn sie durch die Stadt gehen oder sich in ihr aufhalten. Hier arbeitet der Planer auf Ebene der Sinneswahrnehmnungen bei Laufgeschwindigkeit von fünf Stundenkilometern.
Eine Stadtplanung die alle drei Maßstabsgrössen vereint, erfordert das Arbeiten in drei sehr unterschiedlichen Fachgebieten, jedes mit eigenen Regeln und Qualitätskriterien. Idealerweise sollten alle drei Maßstabsebenen miteinander verknüpft und als kohärentes Ganzes gestaltet werden, das den Menschen interessante, attraktive Orte in der Stadt anbietet. Eine derart ganzheitliche Planung muss die Stadt im Zusammenhang all ihrer Elemente betrachten, und zwar auf der Basis logischer Raumfolgen, fundierter Detaillierung, effizienter technischer Installationen und einer ansprechenden Möblierung.
Vielerorts befindet sich dieses Ideal aber im Konflikt mit einer Praxis, die in der Moderne wurzelt und sich auf Einzelbauten konzentriert statt auf ganzheitlich geplante öffentliche Räume. Fotos zeigen Bauherren, Bürgermeister und stolze Architekten über ein städtebauliches Modell gebeugt und illustrieren so die Methode und das Problem: das Projekt wird aus der Vogelperspektive betrachtet. Aus dieser Distanz lassen sich Gebäude, Straßenblöcke und Straßen so lange verschieben, bis die Komposition steht und alles gut aussieht - jedenfalls von oben und von außen gesehen. Eine derartige Stadtplanung erfolgt in der Regel fast ausschliesslich im großen und mittleren Maßstab und lässt das kleine, menschliche Maß weitgehend außer Acht. Viele wichtige Entscheidungen über Dimensionen und Proportionen städtischer Neubaugebiete und Gebäude müssen sich im Rahmen lokaler Bauauflagen und Daten sowie spezifischer Raumprogramme bewegen und finanzielle Interessen bedienen. Bei all dem stehen Fachplaner bereit, die aufgrund ihrer Qualifikation und Erfahrung auftauchende Probleme schnell lösen können.
Anders verhält es sich auf der Ebene des schwer fassbaren menschlichen Maßstabs. Hier gibt es zu wenig Erfahrungswerte und nur selten hilfreiche Bauprogramme, die unterstützend hinzugezogen werden könnten. Auch ist oft nicht eindeutig klar, inwieweit bestimmte finanzielle Interessen bei städtebaulichen Projekten der menschlichen Stadtlandschaft eine Rolle spielen.In vielen Situationen gibt es vernünftige Gründe dafür ein Projekt zunächst einmal von oben und außen zu betrachten. Dabei lauten die Prioritäten: erst die groben Umrisse des Lageplans, dann die Bauten und zuletzt die Zwischenräume. Die in Jahrzehnten gewonnenen Erfahrungen im Städtebau haben uns jedoch gelehrt, dass derart geplante Stadtlandschaften nicht menschengerecht sind und die Menschen davon abhalten, sie mit Leben zu füllen. Im Gegenteil: Überall da, wo die Mehrheit der Planungsentscheidungen "von oben nach unten" erfolgte und das Stadtleben sozusagen als nachrangige Behandlung zuletzt berücksichtigt wurde, erwies es sich als unmöglich, die Forderung nach guten Rahmenbedingungen für lebendige Stadträume zu erfüllen. Den meisten neuen Städten und Neubauvierteln fehlt daher leider die menschliche Dimension. [...]
Wenn Städte und Gebäude einladend wirken sollen, muss das menschliche Maß wieder mehr berücksichtigt werden. Dies ist die schwierigste und sensibelste städtebauliche Disziplin. Wird dieser Aspekt jedoch vernachlässigt oder falsch gehandhabt, hat das Stadtleben keine Chance. Die weithin praktizierte Planung von "oben und außen" muss neuen Planungsverfahren von "unten und innen" weichen, und zwar nach der Devise:
erst das Leben, dann der Raum und dann die Bauten.
Diese neue Vorgehensweise umfasst Vorarbeiten zur Ermittlung von Art und Ausmaß der voraussichtlichen Nutzung des Projektgebiets durch die Menschen. Erst dann werden Raum- und Flächennutzungsprogramme auf der Basis der wünschenswerten Geh- und Radwegeverbindungen formuliert. Wenn diese festgelegt sind, sollten die Gebäude so platziert werden, dass Stadtleben, Stadträume und Gebäude möglichst effizient und harmonisch zusammenwirken. [...]
Ein erfolgversprechender Ansatz für die Gestaltung guter, menschenfreundlicher Städte muss also vom vorhandenen wie vom angestrebten Stadtleben und Stadtraum ausgehen."

Man kann sich nun also fragen: Wie sieht eigentlich wünschenswerter öffentlichen Straßen- und Platzraum im kleinen Maßstab aus? Wenn man durch Bielefelder Straßen spaziert findet man ja die unterschiedlichsten Qualitäten. Um nur eine kleine Auswahl unterschiedlichster Straßencharaktere zu nennen:

Regerstraße
Bielsteinstraße
Hermannstraße
Breite Straße
Klasingstraße/ Welle
Obernstraße
Friedrichstraße
Stapenhorststraße
Rohrteichstraße
Nikolaus-Dürkopp-Straße
Harrogate-Allee
...
Dazu würde ich eine Art Fotoaktion vorschlagen. Bielefelder Bürger werden dazu aufgerufen ihre Lieblingsstraßen oder auch Lieblingsplätze zu fotografieren. Diese könnten in einer Ausstellung gezeigt werden und eine Diskussion anregen wie wir eigentlich leben wollen. Wie sehen belebte Straßen aus? Was macht sie aus? Wie lebt man eigentlich städtisch? Sind viele Parkplätze wirklich das Wichtigste? Oder ist es wichtiger alles möglichst nah beieinander zu haben, sodass man die meiste Zeit gar kein Auto braucht? Das macht zumindest für mich einen großteil des städtischen Lebens aus. Dass ich viel zu Fuß oder mit dem Rad erledigen kann und dabei durch schöne, interessante, belebte Gegenden komme. Wenn wir also diese großen Kasernenflächen zubauen, dann wünsche ich mir, dass dort Stadt gebaut wird. Und nicht Siedlung oder Vorort oder Suburbia oder sonstige Zwischenstadtarten wo man weder die Vorteile des Stadtlebens noch die Vorteile des Landlebens hat, sondern eigentlich nur von beidem die Nachteile.